Das Gesicht Christi

Quelle: https://www.klosterkunst.de/media/image/ea/3c/d2/6983_600x600.jpg

Bitte nehmen Sie die Postkarte (Das Gesicht Christi) zur Hand.

Das Motiv dieser Postkarte soll uns beim Entschlüsseln des Lesungstextes, den wir gerade gehört haben, Hilfestellung geben.

Auf den ersten Blick erscheint das Bild verwirrend:

Viele Köpfe von unterschiedlichen Menschen scheinen Beziehungslos zu einer bunten Collage zusammengestellt zu sein. Und ein erster Eindruck beim Betrachten könnte sein:

Was soll das? Mit so einem Durcheinander kann ich nichts anfangen. Das sagt mir nichts! Aber es lohnt sich, das Bild genauer zu betrachten.

Dann fällt auf, dass sich sehr unterschiedliche Menschen auf dem Bild wiederfinden lassen: Junge und Alte, Reiche und Arme, Männer und Frauen, freundlich Dreinschauende und grimmig Blickende, fröhliche und traurige blickende Menschen, Deutsche und Ausländer, der Papst als kirchl. Amtsträger und sog. Laien, … Ja, es scheint eigentlich ein Querschnitt durch die gesamte Bevölkerung auf dem Bild zu finden zu sein. Für jeden ist auf diesem Bild Platz.

Und dennoch: Was soll das? Stehen diese Menschen nicht alle beziehungslos nebeneinander?

Diese Frage beantwortet sich, wenn man etwas auf Distanz zu dem Motiv geht. Wenn sie Karte etwas weiter von sich weg halten, dann wird ihnen wahrscheinlich etwas auffallen: Die vielen kleinen Gesichter setzen zu einem neuen Bild zusammen: Mit einem gewissen Abstand wird das Dornen gekrönte Gesicht Christi erkennbar. Plötzlich gewinnt das scheinbar chaotische Puzzle der vielen Gesichter, eine neue Bedeutung. Es läßt sich entdecken, daß das ganze Bild mehr ist als die Summe der Einzelteile. Es wird deutlich, daß die einzelnen Gesichter nicht wahllos angeordnet sind. Die Gesichter stehen vielmehr in Beziehung zueinander und gerade diese Beziehung läßt etwas neues entstehen. Dabei ist es nicht egal, an welchem Ort sich ein bestimmtes Gesicht befindet. Es macht sich bemerkbar, wenn ein Gesicht wegbleibt, wenn es fehlt. Das Bild gewinnt seine Bedeutung erst durch das Dasein, jedes einzelnen Gesichtes.

Dieses Bild fasziniert mich immer wieder aufs neue. Es veranschaulicht mir sehr eindrucksvoll, was im 1 Korintherbrief zu lesen ist:

„Es gibt verschiedene Gnadengaben, aber nur einen Geist“ (1 Kor 12,4)

Ich frage mich, ob wir diesen Satz wirklich schon in unseren kirchlichen, gemeindlichen Alltag hinein übersetzt haben. Ob wir ihn uns schon zu eigen gemacht haben. Können wir in unterschiedlichen theologischen Ansätzen, in einer anderen religiösen Praxis wirklich eine Gnadengabe Gottes erkennen? Sind wir nicht sehr schnell mit dem Argument bei der Hand. Ist das noch katholisch?

Paulus hält an dieser Stelle im Korintherbrief fest: Es gibt Unterschiede, es gibt eine Vielfalt des rel. Denkens und Handelns. Und diese Vielfalt an sich ist nicht schlecht. Im Gegenteil. Durch unsere Unterschiedlichkeit können wir einander bereichern. um es im Bild der Postkarte zu sagen: Erst durch die Verschiedenheit der menschl. Gesichter auf der Karte wird es möglich, das Gesicht Christi zu erkennen. Die Einheit wird erst durch die Vielfalt möglich. Einheit ohne Vielfalt ist Uniformität, ist Armut.

Vielleicht würde Paulus heute so schreiben: Die einen Stellen mit einer einfachen Geste eine Kerze in der Kirche auf, andere haben die Gabe als Lektor im Gottesdienst mitzuwirken, wieder andere finden im Angesicht von Leid ein Wort das wirklich tröstet, anderen wird die Gabe geschenkt im Vringstreff Wohnungslosen ein Stück Würde zu vermitteln, wieder andere … Ich glaube wir könnten noch viele Beispiele anbringen! Und in all diesen Dingen leuchtet das Gesicht Christi durch, wird Christus lebendig, ganz konkret.

Und auch weltkirchl. ließe sich sagen: Christen in Lateinamerika spüren die politische Dimension des Glaubens, Christen in Asien haben die Gabe, die kontemplativen Elemente des Glaubens wirksam werden zu lassen, wir Europäer, spüren die besondere Verantwortung für die Schöpfung, … Und all diese Gnadengaben sind gut.

Es kommt darauf an, diese Gnadengaben, die der Geist uns schenkt, zu entdecken und in Beziehung zu einander bringen. Denn uns werden die Gnadengaben des Geistes geschenkt geschenkt, nicht um damit Macht auszuüben sondern „damit sie anderen nützen“.

Einem jeden teilt er seine besondere Gnadengabe zu. Ist das nicht wundervoll? Mir ist etwas an göttlicher Gnade, an Talent, Begabung geschenkt. Meistens denken wir ja defizitär: Das kann ich nicht, wenn ich doch dieses könnte oder jene Eigenschaft hätte. So denkt Paulus nicht. er denkt – wie man heute so schön sagt – positiv: Dir ist etwas mitgegeben und zwar das wesentliche. In dir steckt Geist Gottes.

Haben sie sich eigentlich schon einmal gefragt, was ihre besondere Gabe ist? Wo haben sie ihre Leidenschaft, wo spüren sie ihre Begabung? Was ist meine Berufung?

Oder haben sie schon einmal jemanden gesagt: Weißt du diese Eigenschaft an dir finde ich toll. Da profitiere ich von dir. Da bist du begnadet. Wenn wir uns so unserer Talent bewusst werden, dann können sich unsere Gnadengaben entfalten, dann wird Christus lebendig, dann lebt Gemeinde. Wo Raum für unterschiedliche Berufungen, Begabungen gelassen wird, da lebt Christus mitten unter uns.

Das unsere Gemeinde und die ganze Kirche mehr und mehr zu einem solchen Raum werden, dass wünsche ich uns. „Denn jedem ist die Offenbarung des Geistes geschenkt, damit sie anderen nützt.“