Der Produzent

Seine Füße auf den Tisch gelegt, eine Flasche Bier in der Hand, ein paar Chips in einem Schälchen auf dem Tisch. So hatte es sich der Alte-Herr wieder einmal in seinem Sessel bequem gemacht. Sein Blick war auf den großen Fernseher am Ende des Raumes gerichtet. Er „zappte“ mit der Fernbedienung immer wieder neue Filmsequenzen auf den Bildschirm. Der Alte-Herr war augenscheinlich mit dem durchforsten des neuen Filmmaterials beschäftigt. Aber er schien mit keinem Filmausschnitt wirklich zufrieden zu sein. Irgend etwas schien den Alten-Herrn zu stören. Da kam sein Sohn ins Wohnzimmer.

„Nun schau dir das einmal an!“, sagte der Alte-Herr.

„Was denn?“, fragte der Sohn. „Ich kann ja gar nichts erkennen, wenn du dauernd so schnell umschaltest.“

Der Alte-Herr schaltete die Sequenzen nicht mehr ganz so schnell weiter:

„… haben in der Nacht die Rebellen ihre Angriffe gegen die Regierungstruppen fortgeführt. Schätzungen gehen von mehr als tausend Toten … (Zapp) … hat sich das Ozonloch weiter ausgedehnt. Das Gesundheitsamt warnt deshalb dringen davor … (Zapp) … geht der Hunger in den Dürregebieten weiter … (Zapp) … sind weitere Fälle von Pest Erkrankungen bekannt geworden (Zapp) … damit erhöht sich die Zahl der Drogentoten in diesem Jahr auf … (Zapp) … gestanden, sich an weiteren vier Kindern vergangen zu haben … (Zapp) … erfror in der vergangenen Nacht ein Obdachloser. Die Forderung nach Öffnung von U-Bahnstationen wird jetzt wieder laut … (Zapp).“

Der Bildschirm erlosch und bot nur noch ein schwarzes Bild. Der Alte-Herr hatte den Monitor abgeschaltet.

„Gewaltdarstellungen, Horrorvideos und Hardcore – egal was du dir ansiehst. Bei dem ganzen Material ist nichts vernünftiges. Das Niveau der Filme wird immer schlechter! Das sich die Schauspieler für solche Filme überhaupt hergeben! Sind die Menschen denn zu nichts Besserem fähig?“ fragte er nun seinen Sohn.

„Nun, Vater-unser, du weißt ja genau, auch ich habe damals bei meinem Auftritt nicht die besten Erfahrungen gemacht. Du kannst dir gern noch einmal meine Wundmale Anschauen …“

“ … Heiße ich Thomas?“ antwortete der Alte-Herr erbost. „Ich habe den ganzen Film mit dir damals doch selber mitbekommen. Du weißt, wie nah mir das Ganze gegangen ist. Schließlich war ich der Regisseur!“

„Ja, ja, ich weiß. Du warst damals so geschockt, daß du verstummt bist,“ antwortete der Sohn traurig.

„Das stimmt nicht,“ seufzte der Alte-Herr.

„Jedenfalls konnte ich in der Schlussszene deine Anweisungen nicht mehr hören,“ antwortete der Sohn.

Einen Augenblick lang herrschte eine unangenehme Stille. Dann wandte sich der Alte-Herr erneut an seinen Sohn:

„Aber, ich hatte gedacht, … ich meine, … ich hatte gehofft, dass die Menschen menschlicher geworden wären! Du warst doch so ein guter Hauptdarsteller! Du hast doch deine Rolle überragend gespielt. Ich hatte gehofft, daß einige junge Talente deinem Stil folgen würden.“

„Aber, aber, Vater-unser, bist du nicht etwas pessimistisch? Schließlich gab es doch etliche, die in meine Fußstapfen getreten sind. Denk doch nur an Petrus und Paulus! Die haben in den alten Streifen ihr bestes gegeben.“

„Ja, ja, ich weiß. Es gab schon ein paar gute Schauspielerinnen und Schauspieler. Auch der Film mit Franz damals. Das war schon ein Erlebnis! Wie der Armut und Nächstenliebe verkörpert hat, das war Weltklasse! Und dazu die tollen Landschaftsaufnahmen rund um Assisi.“

„Und denk doch mal an die Seifenoper mit Mutter Theresa aus Kalkutta,“ erinnerte der Sohn seinen Vater. „Wie die sich für ihre Mitmenschen einsetzte, das war authentisch, das war echt. Diese Serie ist sehr beliebt, weltweit! Und das bei einer indischen Produktion!“

„Gut, gut, aber alles in allem, waren das doch eher Randerscheinungen. Die richtigen Kassenschlager, das waren doch andere Filme: Nero, Karl der Große, Kolumbus, Hitler und wie sie alle hießen.“

Der Alte-Herr und sein Sohn schwiegen.

„Weißt du wie oft ich mir Vorwürfe mache!“, brach es plötzlich aus dem Alten-Herrn heraus. „Schließlich bin ich als Produzent für diese minderwertigen Filme verantwortlich. Hätte ich mich doch damals nicht auf die Menschen als Hauptdarsteller in meinem Weltepos „Die Schöpfung“ eingelassen!“ Der Alte-Herr begann zu weinen.

Sein Sohn legte liebevoll einen Arm um ihn:

„Vater-unser, du brauchst dir doch keine Vorwürfe zu machen,“ beruhigte er seinen Vater. „Ich hätte mir jedenfalls keinen besseren Produzenten vorstellen können. Du hast mir alle Freiheiten gelassen, die ich brauchte, um etwas aus meiner Rolle zu machen, um die Talente, die in mir stecken, wirklich auszuschöpfen. Du weißt ja, welche Sternstunde des Kinos dabei heraus gekommen ist!“

„Ja, du, mein Sohn, aber all die anderen …,“ seufzte der Alte-Herr.

„Aber Vater-unser, der Produzent ist „nur“ für die Rahmenbedingungen zuständig. Er hat die Aufgabe, sich um das Drumherum des Films zu kümmern. Und da kann ich mir wirklich keinen besseren Produzenten vorstellen. Wirklich, Vater-unser, du hast deine Aufgabe als Produzent mehr als gut erfüllt. Die Schauspieler haben doch den Freiraum, den sie für ihre Rollen brauchen, die Kulisse ist einfach göttlich, das Ensemble mit dem gedreht wird, hat das Potential, das für einen guten Film gebraucht wird. Die Rahmenbedingungen sind optimal. Du hast wirklich an alles gedacht, an was ein Produzent denken kann, denken muss. Aber, Vaterunser, spielen, gut spielen müssen die Schauspieler ihre Rolle schon selber!“