Fünf vor Zwölf

Mein Weg führte mich an diesem Morgen in das Büro unserer Pfarrgemeinde. Ich wollte mein Kind zur Taufe anmelden und stand nun vor so einer Art Theke. Hinter der Theke saß eine schon etwas ältere Dame:

Guten Tag, ich möchte mein Kind zur Taufe anmelden.

Pause.

Ich wiederholte noch einmal etwas lauter:

Guten Tag, ich möchte mein Kind zur Taufe anmelden.

Nun schaute die ältere Dame erschrocken auf und ein hektischer Monolog entspannte sich:

O, ich habe sie gar nicht kommen gehört, ich bin nämlich etwas schwerhörig, ich arbeite schon seit Jahren hier, die Leute, die mich kennen, wissen, daß ich schwerhörig bin, die meisten Leute sprechen deswegen immer etwas lauter, sie habe ich übrigens noch nie hier gesehen, sind sie neu in unserer Gemeinde, ich kennen nämlich alle hier, z. B. die Meiers, die waren eben hier, die wohnen schon seit Jahren hier, …

Ich unterbrach die Dame:

Ich wollte mein Kind zur Taufe anmelden …

Könnten sie bitte etwas lauter reden. Ich kann nämlich schlecht zuhören, ich meine, ich höre schlecht, es ist ein Leiden, das ich schon früher hatte, obwohl, als kleines Kind, da hörte ich noch …

Ich möchte mein Kind zur Taufe anmelden,
schrie ich die Frau an.
Ach so. Warum sagen sie das nicht gleich? Der Herr Pfarrer ist noch nebenan. Der Herr Pfarrer ist nämlich noch in einem Gespräch. Der Herr Pfarrer hat nämlich viel zu tun. Der Herr Pfarrer ist nämlich gerade zum Monsignore ernannt worden, Ehrenkaplan des Papstes, können sie sich das Vorstellen, ist das eine Ehre für ihn, ach, was sage ich, für die ganze Pfarrgemeinde, ja, ja wir sind furchtbar stolz über diese Auszeichnung …

Die schon etwas ältere Dame redete und redete.

Doch nun drangen aus dem Nebenraum lauter werdende Stimmen in das Pfarrbüro und ich konnte nicht umhin, nach und nach nur noch auf diese Stimmen zu achten.

Ich meine, wir könnten doch …
Nein!
Verstehen Sie, wir hätten die Möglichkeit …
Nein!
Sollten wir nicht einmal …
Nein!
Aber, …
Nein!
Nun, aber, Herr Pastor, was sollen wir denn dann tun?
Wir werden es folgendermaßen machen!
Aber, das habe ich doch gerade vorgeschlagen …
Nein, das ist meine Idee – Und was ich gesagt habe wird gemacht.
Jawohl!

Die Tür ging auf und der Pastor kam ins Pfarrbüro. Die schon etwas ältere Dame erklärte seiner Exzellenz Monsignore Herr Pfarrer, dass ich mein Kind zur Taufe anmelden wollte.

Nun haben sie Ihr Familienstammbuch dabei, fragte er mich.

Nein, ich dachte …
Na, wie sollen wir denn dann feststellen, ob wir Ihr Kind Taufen können?
Ich verstehe nicht …
Nun, eine Kindertaufe setzt doch wohl voraus, daß die Eltern auch mit dem Heiligen Geist erfüllt sind. Ich muß also wissen, ob sie getauft sind. Und darüber gibt eine Taufbescheinigung Auskunft, …

Eine Bescheinigung darüber, daß ich mit Heiligem Geist erfüllt bin?
… eine Taufbescheinigung, die in der Regel in Ihrem Familienstammbuch drin ist.

Ist das nicht sehr formalistisch?
Nein, das ist korrekt. Es gibt da halt Spielregeln, die eingehalten werden müssen.

Hoffentlich hält sich der Heilige Geist auch an diese Spielregeln!?
Also kein Stammbuch?
Nein.

Hmm, ich kenne sie aber auch gar nicht.
Sehen sie, dass habe ich auch gesagt, ich kenne sie gar nicht,
mischte sich die schon etwas ältere Frau ein.

Kommen sie denn nicht in die Kirche?
Doch, doch, nur ich geh gewöhnlich nicht hier in die Kirche.
Sie kommen also nicht hier in meine Kirche? Dann wollen wir doch mal sehen, ob bei ihnen wenigstens die Grundlagen da sind,
übernahm der Pfarrer wieder die Initiative.

Kennen sie die 10 Gebote?
Wie bitte?
Aufzählen!
Äh, also, ich meine, …

Aufzählen! Alle zehn!
Nun, äh, ich glaube, ich muss da passen, ich meine, ich bemühe mich, mit meinen Mitmenschen gut auszukommen und versuch mich auch für andere einzusetzen, ich meine, …
Beten sie einmal ein Gegrüßet-seist-du-Maria!
Hören sie, ich spüre schon, daß es Gott gibt und ich nehme mir auch oft Zeit zum beten ….
Dann ist ein Gegrüßet-seist-du-Maria ja wohl ein Klacks für sie! Los fangen sie an!
Gegrüßet-seist-du … Also ehrlich, hören sie! Ich spreche eigentlich immer andere Gebete, ich meine, ich sage das, was mir auf dem Herzen liegt …

Also auch kein Gegrüßet-seist-du-Maria? Dann zählen sie wenigstens einmal die 4 Evangelisten auf.
Die vier Evangelisten aufzählen? Wissen sie, ich möchte eigentlich nur mein Kind zur Taufe anmelden…
Noch nicht mal die Namen der Evangelisten! Oje, wo wird diese Welt noch Enden. Wissen sie denn nicht, dass man sich bei der Taufe seines Kindes verpflichtet, das Kind im Glauben zu erziehen?
Doch, doch, ich will meinem Kind ja auch den Glauben vorleben …
Glauben vorleben!? Wie wollen denn Sie ihr Kind im Glauben erziehen? Sie wissen ja gar nichts! Tut mir leid, da ist mir die Zeit wirklich zu schade für. Wissen sie, wir haben nämlich höhere Ziele. Wir arbeiten für das Erreichen der Ewigkeit!
Ewigkeit?
Da fiel mein Blick zufällig auf eine Uhr, die an der Wand hing. Auf der Uhr war es fünf vor Zwölf. Es dauerte einen Moment, bis ich bemerkte, dass die Uhr stehen geblieben war. Und ich verstand: Ewigkeit, so wie sie es verstehen, ist wenn die Uhren stehen bleiben und die Zeit nicht weitergeht.